„Ich erschaudere, wenn ich mir die Mutter der Parlamente ansehe.“ Das Urteil des britischen Schriftstellers und Oxford-Dozenten James Hawes über Premierministerin Theresa May, das man kürzlich in der Süddeutschen Zeitung lesen konnte, hätte beißender fast nicht sein können. In einem Interview zum Brexit-Referendum, also zur Abstimmung über den Verbleib des Vereinigten Königreichs in der Europäischen Union, holt Hawes zum Rundumschlag aus: May, die politische Diskussionskultur, Hierarchien und Rituale. Alles basiere auf dem Grundsatz „The winner takes it all“. „Es ist ein Kampf“, so Hawes, „Beleidigungen sind sogar ausdrücklich erwünscht.“ Und weiter: „Da gibt es nur eine Strategie: Man muss mächtig werden und seine Macht erhalten.“
Die Eton-Boys
Warum es überhaupt zum Brexit gekommen ist? Für Hawes ist das „nur eine Schlacht zweier Eton-Boys: Johnson und Cameron“. Gemeint ist hier zum einen Mays Vorgänger David Cameron. Dieser initiierte 2016 das Referendum, um seine innerparteiliche Position in der Conservative Party zu stabilisieren. Wie die Abstimmung ausging, ist bekannt – 51,9 Prozent stimmten für einen Austritt – und Cameron, weil er für den Verbleib plädiert hatte, trat zurück. Boris Johnson, Parteifreund und Nemesis Camerons zugleich, führte hingegen die Kampagne der Brexit-Befürworter.
Ob man Hawes Meinung teilt oder nicht, ihm vielleicht sogar selber eine Beleidigungskultur attestiert, am Brexit verdeutlicht sich eine gesellschaftliche und politische Zerrissenheit – wie man sie in der heutigen Zeit auch in vielen anderen Ländern beobachten kann.
Mays Aufgabe
Theresa May sieht sich in diesem schwierigen Umfeld nun mit der Aufgabe konfrontiert, einen Plan für den Brexit, der am 29. März dieses Jahres stattfinden soll, zu entwerfen. Beziehungsweise einen zweiten Plan, wurde „ihr“ Plan A doch am 15. Januar vom Parlament mit großer Mehrheit abgelehnt (202 Ja- zu 432 Nein-Stimmen). Größtes Problem ist hierbei der sogenannte „Backstop“.
Denn eine Folge des Brexits wäre: eine Außengrenze der Europäischen Union auf der irischen Insel. Zwischen Irland, das weiterhin zur EU, und Nordirland, das dann nur noch zu Großbritannien gehören würde. Doch genau das, eine bewachte Grenze, will man auf alle Fälle verhindern, damit alte Konflikte zwischen den beiden Ländern nicht neu aufflammen.
Der Backstop
Hier käme dann der Backstop ins Spiel. Für den (von Experten als höchst wahrscheinlich angesehenen) Fall, dass sich Großbritannien und die EU in der Übergangsphase bis Ende 2020 auf kein gemeinsames Handelsabkommen einigen können, bliebe ganz Großbritannien in der europäischen Zollunion und Nordirland zusätzlich noch im EU-Binnenmarkt. Der Backstop, der im Übrigen nicht einseitig aufgekündigt werden kann, soll daher einen freien Warenverkehr garantieren und Grenzkontrollen verhindern.
Insbesondere diese Kündigungsklausel missfällt aber den Brexit-Befürworter. Man befürchtet, dass das Vereinigte Königreich durch den Backstop auf unbestimmte Zeit in der Zollunion der EU verankert ist – und angestrebte neue Handelsabkommen, wie etwa mit den USA oder China, nicht zustande kommen.
Plan B ist Plan A
Plan A, an dem rund zwei Jahre gefeilt wurde, ist also abgelehnt. Und Plan B? Diesen gibt es nicht wirklich. Mit „nothing has changed“ stellte May – gerade ein Misstrauensvotum überstanden – die überarbeitete Fassung nur eine Woche später vor. Die Enttäuschung war groß, auch wenn eigentlich niemand mit etwas anderem gerechnet hat. Somit ist Ende März ein No-Deal-Szenario und damit ein ungeregelter Brexit am wahrscheinlichsten.
Der zweite Plan B
Scheinbar gibt es aber noch einen zweiten Plan B. Denn nach Informationen der Sunday Times plant die Premierministerin einen bilateralen Vertrag mit Irland, um eine Lösung für die Nordirland-Frage zu erreichen. Hiermit wolle sie die Auffanglösung umgehen. Möglich, dass May dann doch noch die nötige Zustimmung vom Parlament erhält. Allerdings – und nun wird es wieder schwierig – will Irland, wie Außenminister Simon Coveney klarmachte, am zwischen London und Brüssel ausgehandelten Austrittsabkommen festhalten. Und dazu gehört auch der von vielen Konservativen so gefürchtete Backstop.
Was ein ungeregelter Brexit für die Logistik bedeuten würde
Kommt es also zu einem ungeregelten Brexit, hätte dies zahlreiche negative Auswirkungen. Im Kleinen wie im Großen. Wartezeiten bei zu importierenden Lebensmitteln wie Tomaten etwa – diese „stapeln“ sich ja beim Zoll. Richtig problematisch wird diese Verzögerung dann bei Arzneimitteln, die ihre Abnehmer möglichst schnell erreichen müssen. Ohnehin gelten rund 80 Medikamente in England schon jetzt als rar.
Es sind zwei Beispiele für Engpässe. Für Engpässe, die allesamt in Dover entstünden. Durchschnittlich passieren täglich rund 10.000 Lkws den zwischen England und Frankreich gelegenen Hafen. Und der Brexit würde diesen Vorgang um einiges komplizierter machen, da alle Waren beim Zoll deklariert werden müssten. Wissenschaftler des Imperial College London haben schon mal gerechnet: Würden die Kontrollen je Lkw nur zwei Minuten länger dauern als heute, müssten pro Fahrzeug etwa fünf Stunden mehr Fahrtzeit eingeplant werden. Aufgrund der sich daraus ergebenden Rückstaus.
So haben einige große Unternehmen schon vorsorglich Maßnahmen ergriffen, um diesen umständlichen Zollprozeduren aus dem Weg zu gehen. Panasonic und Sony zum Beispiel, die ihre Europasitze von Großbritannien in die Niederlande verlagert haben.
Wo es Verlierer gibt, gibt es auch Gewinner
Bisher nicht erwähnt: die Auswirkungen des Brexits auf das britische Pfund. Die sind aktuell schon ganz real. Im Vergleich mit dem US-Dollar-Preis hat das Pfund innerhalb der letzten zwölf Monate um über sieben Prozent an Wert verloren.
Und man fürchtet, wenn es zu einem ungeregelten Brexit kommt, mit weiteren Verlusten. Die Bank von England erwartet in diesem Fall einen Absturz des Pfundes um weitere 25 Prozent. Auch der Immobilienmarkt würde schwer getroffen. Die Zentralbanker gehen von einem 30-prozentigen Fall der Hauspreise aus.
Andererseits würde genau dieser schwache Pfund-Preis, wie die Unternehmensberatung PricewaterhouseCoopers (PwC) schätzt, Fusionen und Übernahmen ausländischer Käufer begünstigen. „Wir glauben, dass der Brexit das grenzüberschreitende Fusions- und Übernahmegeschehen positiv beeinflusst“, so die PwC-Autoren. Das zeigt: Es gibt nicht nur Verlierer bei einem Brexit.
Schließlich können Unternehmen den Brexit auch als Chance begreifen, die eigenen Lieferketten zu überdenken und diese moderner sowie effizienter zu gestalten. In jedem Fall sollte man jetzt zumindest einen „Notfallplan“ entwickeln, um nicht unvorbereitet in einen ungeregelten Brexit zu stolpern.
+++ Update +++ Britisches Parlament stimmt mehrheitlich gegen No-Deal-Brexit +++ EU legt Veto ein +++ Brexit-Datum wird eventuell verschoben +++
Mit 318 zu 310 Stimmen votierte das britische Parlament am 29. Januar knapp gegen einen ungeregelten Brexit. Gegen ein No-Deal-Szenario, das Premierministerin Theresa May nicht ausschließen wollte. Auch in einer anderen Frage legte sich das Parlament fest. So sollen jetzt Nachverhandlungen mit der EU über das irische Grenzproblem geführt werden. Da beide Anträge aber nicht bindend sind und die EU binnen weniger Minuten Veto einlegte und verdeutlichte, dass es am Brexit-Vertrag keine Änderungen geben soll, ist die weitere Verfahrensweise jedoch völlig unklar. Offen sei man aber für eine Verschiebung des Brexit-Datums am 29. März – zumindest dann, wenn es einen begründeten Antrag für eine Verlängerung geben sollte. Aber diesen gibt es bisher noch nicht. To be continued …
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